Samir Leuppi ist als Favorit am diesjährigen Eschenberg-Schwinget angetreten. So ist es ihm beim Heimspiel ergangen.

Geheimrezept für den Sieg am Eschenberg-Schwinget: zwei gekochte Eier, drei Semmeli mit Honig und eine Banane zum Frühstück. Dazu eine Tasse Kaffee und einen Protein-Shake.
Viermal konnte der Lokalmatador Samir Leuppi das Winterthurer Schwingfest mit dieser «Vorbereitung» schon gewinnen: 2015, 2016, 2018 und 2019. Und auch dieses Jahr standen die Zeichen lange auf Sieg. 2023 jedoch sollte es nicht ganz reichen.
Zu Gast bei der Mutter
Wettkampftag, 8 Uhr: Samir Leuppis Wecker klingelt. Die Melodie: «nervtötend» und «wie ein Presslufthammer». So hat es der Hüne vor dem Schwingfest in einer E-Mail beschrieben. Er ist 140 Kilogramm schwer und 1,94 Meter gross. Wenn der Transportpolizist für seine Kontrollen die Zug-Gänge entlanggeht, muss er seinen Oberkörper leicht drehen, damit er samt Pistole und Funkgerät zwischen den Sitzlehnen vorbeikommt. So schnell holt Leuppi kein Klingelton aus dem Bett.

Der 30-Jährige hat bei seinen Eltern in Wülflingen übernachtet. Seit 20 Jahren steigt er für den Schwingklub Winterthur in die Zwilchhosen, auch wenn er mittlerweile in Finstersee im Kanton Zug wohnt. Am Freitag hat er das Festareal mit aufgebaut und am Samstag an der Buebenschwinget auf dem Eschenberg mitgeholfen. Das geht nur mit Gästezimmer.
Dafür hat ihm seine Mutter heute den «Schwinger-Zmorge» zubereitet. «Bei meinen Eltern ist es wie in den Ferien», sagt Leuppi. Er werde verwöhnt und müsse sich um nichts kümmern.
Antritt als Titelverteidiger
9 Uhr: Leuppi kommt als Mitfavorit auf dem Eschenberg an. Er ist vor einer Woche mit einem zweiten Rang in die Schwing-Saison gestartet und einer von drei Eidgenossen im Teilnehmerfeld. Also einer von dreien, die es an einem Eidgenössischen Schwingfest schon unter die Besten geschafft haben.
Zudem ist der Winterthurer Eschenberg-Schwinget-Titelverteidiger: 2019 hat er im Schlussgang gegen den Zuger Eidgenossen Marcel Bieri gewonnen. 2021 und 2022 fiel das Fest wegen der Pandemie aus. Und im letzten Jahr verzichtete der Winterthurer Schwingklub auf eine Durchführung, weil er am kantonalen Schwingfest mithalf.
10.30 Uhr: Als die ersten Zuschauerinnen und Zuschauer eintrudeln, muss sich Leuppi gerade von der Presse knipsen lassen. Danach nimmt er als Aushängeschild der regionalen und nationalen Schwingerszene an einem Sponsoren-Apéro im Restaurant Eschenberg teil. Prosecco, Orangensaft und Häppchen gibt es allerdings nur für die anderen.
Rockmusik und Jodeln
11.45 Uhr: Die 60 Schwinger, die am diesjährigen Eschenberg-Schwinget teilnehmen, versammeln sich in der Arena. Der Festplatz ist mittlerweile gut gefüllt. An die 500 Leute, Publikum, Helferinnen und Athleten sitzen auf langen Holzbänken um die drei Sägemehlringe und im Festzelt.

12 Uhr: Es wird geschwungen. Während vorher Twisted Sister und Offspring aus den Lautsprechern dröhnten, ist es jetzt ruhig auf dem Festplatz. Das Sägemehl fliegt durch die Luft. Hie und da hört man einen Schwinger im Schwitzkasten eines anderen ächzen oder einen Rücken mit dumpfem Knall auf den Boden krachen.
Dann unterbricht der Jodelclub Wülflingen mit dem Papageien-Jodel die Stille. «Unplugged» vorerst, weil das Mikrofon, um das sie sich am Rand der Sägemehlringe versammelt haben, offensichtlich nicht funktioniert. Das Krachen der Rücken ist jetzt nicht mehr gut zu hören.
750 Eintritte verkauft
12.45 Uhr: Samir Leuppi steigt zum ersten Mal in die Zwilchhosen. Er kommt gegen den Zuger und späteren Zweiten Noe Van Messel zuerst in Bedrängnis, kann dann aber einen Angriff kontern und seinen Gegnern auf den Rücken legen. Danach trifft er auf Daniel Wettstein. Er ist zwanzig Zentimeter kleiner als Leuppi und liegt nach zehn Sekunden auf dem Rücken. Das gibt die Maximalpunktzahl.
13.50 Uhr: Leuppi muss zum ersten Mal an diesem Wettkampf gegen Marcel Bieri ran. Die beiden sind sich lange ebenbürtig, stehen oft eng umschlungen in der Mitte des Sägemehlringes und ringen um den besseren Griff. Dann plötzlich – das Schwyzerörgeli-Trio Hörnlifäger spielt im Festzelt gerade das Kinderlied vom «Ankeweggemeitli» – hebt Leuppi seinen 120 Kilo schweren Gegner in die Höhe und setzt zum Schwung an. «Komm Samir, zieh ihn», ruft einer aus dem Publikum. Vergebens: Nach fünf Minuten «stellen» die beiden und trennen sich unentschieden.

Der Festplatz ist mittlerweile rappelvoll, die Sonne scheint bei 20 Grad. 750 verkaufte Eintritte sind es zu diesem Zeitpunkt. Eine Helferin sagt, das habe sie noch nie erlebt. «Wir lassen Leute im Sekundentakt rein.» Mit Schwingern, Gästen aus dem Schwingklub Winterthur und Helfern dürften es laut OK-Mediensprecherin Stephanie Lanter etwa 1200 Anwesende sein.
David gegen Goliath
14:35 Uhr: Leuppi trifft auf Tobias Schmidlin aus Hinwil. Er ist 10 Zentimeter kleiner und wiegt 85 Kilo. Es ist eine Begegnung wie bei David und Goliath, nur dass David diesmal keine Chance hat. Nach einer Minute wirbelt Leuppi seinen Kontrahenten durch die Luft, legt ihn ins Sägemehl und dreht ihn auf den Rücken. Das Publikum jubelt. Auch mit dem fünften Gegner macht Leuppi kurzen Prozess. Der 18-jährige Jano Müller liegt nach 10 Sekunden auf dem Rücken.
Vor dem Schlussgang zwischen den beiden Besten zu diesem Zeitpunkt, Samir Leuppi und Marcel Bieri, brechen auf dem Eschenberg alle Dämme. Schirme haben die wenigsten Zuschauer dabei. Sie flüchten unter die Vordächer des Eschenberg-Restaurants und ins Festzelt, das jetzt so voll ist, dass der Kontrabassist der Hörnlifäger den Bogen kaum mehr bewegen kann. Nach einer knappen Viertelstunde zeigt sich die Sonne wieder. Die Bänke sind durchnässt. Den Schlussgang sehen sich die meisten im Stehen an.
Dritter Platz für Leuppi
16.30 Uhr: Leuppi und Bieri betreten den Platz Nummer 3. Der Regen setzt wieder ein – als sei Petrus Winterthurer und hätte gewusst, was passiert. «Es ist nicht verboten, die zwei zu unterstützen. Das wärmt», versucht der Speaker das Publikum zu animieren. Zu hören sind aber vor allem die «Samir, Samir»-Rufe der Kinder aus seinem Fanblock im Festzelt.
Ein Unentschieden würde nur Van Messel als lachender Dritter helfen. Er hat seinen letzten Kampf mit voller Punktzahl gewonnen. Also setzt Leuppi kurz vor Ablauf der zehn Minuten zu einem Schwung an – Bieri kontert und legt ihn auf den Rücken.
Leuppi beendet das Winterthurer Schwingfest dieses Jahr auf dem dritten Platz. Auch der Humliker Philipp Lehmann ist nach dem verlorenen Schlussgang noch an ihm vorbeigezogen. Zu Ende ist der Tag für Leuppi aber erst, wenn der Festplatz aufgeräumt ist. Mit dem Wettkampf ist er trotz Niederlage zum Schluss zufrieden: «Ich habe riskiert, aber verloren.»