Im Nägelsee-Quartier soll ab April ein Moschee-Neubau entstehen. Die brennendsten Fragen und Antworten zum Projekt.

Visualisierung: PD
An die 250 Moscheen gibt es in der Schweiz. Meistens sind es kleinere Gebetsräume, die in Industrie- und Gewerberäumen eingemietet sind und von aussen praktisch nicht erkennbar sind.
Die Ausnahme: vier Schweizer Moscheen mit Minarett, eine davon in einer umgebauten Halle in der Grüze Winterthur. Und knapp ein Dutzend Neubauten, etwa in Volketswil oder Wil SG. Diese Moscheen sind an ihrem Kuppeldach, einem Halbmond darauf oder an Verzierungen an Fenstern und Fassade als solche zu erkennen.
Die Moschee des Vereins Türkgücü befindet sich zwar zusammen mit Wohnungen und Büros in einer neuen Liegenschaft an der Theaterstrasse 25, neben dem Gate 27. Sie sieht von aussen aber aus wie ein gewöhnlicher Wohnblock.
Im Nägelsee-Quartier in Töss dagegen entsteht derzeit der erste als Moschee erkennbare Neubau in Winterthur. Dort hat der Islamische Kulturverein Winterthur (IKVW) im September zwischen Pünten und einer Schreinerei mit Bauen begonnen.
Der Verein nennt das Projekt allerdings lieber «Begegnungszentrum mit Gebetsraum». Denn: In eine Moschee gehe man, um zu beten, wie Vereinspräsident Adem Murseli erklärt. Ihr Projekt sei aber mehr als ein Gebetshaus. Und es sehe auch nicht aus wie eine Moschee.
Wer baut das islamische Zentrum?
Der IKVW zählt 250 bis 300 aktive Vereinsmitglieder aus der Region Winterthur, die meisten mit familiären Verbindungen nach Nordmazedonien, Albanien oder nach Kosovo. Die genaue Zahl variiert von Jahr zu Jahr, weil jedes Mitglied selbst über den Mitgliederbeitrag und dessen Höhe entscheidet.
Der Verein ist seit 14 Jahren in Töss beheimatet. Er mietet an der Zürcherstrasse 300 einen Anbau hinter einer Autowerkstatt. Dort beten nicht nur Vereinsmitglieder, sondern auch auswärtige Musliminnen und Muslime. Wie die meisten der etwa 55 Moscheen im Kanton Zürich steht das islamische Kulturzentrum allen offen. Man wisse aber natürlich, wer im Zentrum bete, sagt Murseli.
Zur Stadt Winterthur unterhält der Verein laut Sozialvorsteher Nicolas Galladé gute Beziehungen. Das bestätigt auch Michael Wirz, Medienchef der Stadtpolizei. Er sagt: «Unsere Brückenbauer pflegen gute Kontakte mit den muslimischen Vereinen.» Die Zusammenarbeit äusserte sich in jüngster Vergangenheit etwa in Form einer Infoveranstaltung oder eines Tages der offenen Moschee, an dem der Verein Interessierte ins jetzige Zentrum einlud – um sie kennen zu lernen, wie Murseli sagt. «Wir wollen Vorurteile abbauen.
Wieso braucht es einen Neubau?
Seit seiner Gründung im Jahr 1991 ist der islamische Kulturverein fünfmal umgezogen, «vielleicht auch sechsmal». So genau weiss Murseli das nicht mehr. Die vielen Umzüge seien mit ein Grund, warum in den letzten Jahren zunehmend der Wunsch nach «etwas Eigenem» aufgekommen sei. «Wir hatten nie das Gefühl, irgendwo fest zu sein.»
Ausserdem zeigt ein Besuch an der Zürcherstrasse: Der Platz ist knapp. Bis zu 200 Männer beten dort an hohen religiösen Feiertagen, auf etwa 200 Quadratmetern. Sind es mehr, wird der Steinboden im Eingangsbereich des Kulturzentrums mit einem grünen Balkonteppich ausgelegt, damit die Betenden sich beim Gebet verbeugen können. Die Frauen folgen dem Gottesdienst via Lautsprecher in einem Nebenzimmer, in dem sonst Koranunterricht erteilt oder Sitzungen abgehalten werden.
Was beinhaltet das Bauprojekt?
Das geplante Gebäude im Nägelsee-Quartier ist deutlich geräumiger. Es entsteht auf knapp 1400 Quadratmetern Land, also etwa auf der Fläche eines Eishockeyfeldes, an der Schlachthofstrasse. Dort baut der islamische Kulturverein ein multifunktionales Zentrum, das ebenso Ort des islamischen Gebets wie Cafeteria, Jugendtreff und Bürokomplex ist.
Herzstück des Projekts ist der würfelförmige Gebetsraum mit der Kuppel. Er ist entsprechend der muslimischen Gebetsrichtung, der Qibla, nach Mekka ausgerichtet und deswegen leicht abgeschrägt. Ansonsten wird das fertige Bauwerk von aussen kaum als religiös erkennbar sein.

Ein virtueller Blick ins Innere des Gebäudes zeigt: Besonders die Frauen dürften vom Neubau profitieren. Der Gebetsraum wird etwa 300 Männern Platz bieten. Auf einer erhöhten Galerie mit Glasgeländer werden an die 130 Frauen beten können. Neu haben sie direkten Blick auf den Imam, sind aber weiterhin separiert von den Männern. «So können sich beide Geschlechter beim Gebet auf das Wesentliche konzentrieren», sagt Murseli.
Für die rituelle Vorbereitung auf das Gebet verfügt die Moschee über zwei Waschräume. Und auch zwei Cafeterien gibt es. Es sei nicht so, dass Männer und Frauen nicht auch zusammensitzen würden, sagt Nusret Sulimani vom Vereinsvorstand. Aber die zweite Cafeteria biete den Frauen die Möglichkeit, sich zurückzuziehen.
Im hinteren Teil des Begegnungszentrums plant der Verein eine Art Jugendtreff. «Wir wollen die Jugendlichen von der Strasse holen und schauen, dass sie sich von Drogen und Alkohol fernhalten», sagt Ismailj Alili. Der Imam des Kulturvereins ist seit 2005 in der Schweiz und hat an der renommierten Al-Azhar-Universität in Kairo und in Syrien islamische Theologie studiert. Missionieren wolle er im neuen Jugendraum nicht. Aber wenn jemand ihn etwas zum Islam frage, antworte er natürlich.
Wie fortgeschritten ist Projekt?
Spatenstich und damit offizieller Projektstart war Ende September. Derzeit graben die Bagger auf dem Areal an der Schlachthofstrasse 16 langsam. Weil der Kanton dort vor knapp drei Jahren Altlasten vermutete, verzögern sich die Bauarbeiten laut Verein noch immer.
Zwar wurden in den Voruntersuchungen keine gefährlichen Altlasten gefunden. Aber der Verein ist verpflichtet, die abgetragene Erde Schicht für Schicht durch eine Fachperson überprüfen zu lassen und richtig zu entsorgen. Im April sollen dann «endlich» die Fundamente für das Gebäude gelegt werden – vier Jahre später als ursprünglich geplant

Die Pläne reichte der islamische Kulturverein Ende 2018 ein. Nach den Altlasten-Abklärungen 2019 und der Projektbewilligung im März 2020 folgten erste baurechtliche Einsprachen. Die Anwohnerschaft sah an muslimischen Feiertagen ein Verkehrschaos auf sie zukommen und bemängelte, dass es im Nägelsee-Quartier an Parkplätzen fehle.
Ende 2020 wies das Baurekursgericht die Einsprachen ab, verlangte vom islamischen Kulturverein aber ein funktionierendes Mobilitätskonzept. Letzteres wurde im letzten Juni von der Stadt bewilligt: Mit der Tiefgarage und weiteren improvisierten Parkplätzen auf dem Gelände bietet der Verein bis zu 50 Autos Platz. Bei Bedarf wendet er sich an Supermärkte und Geschäfte in der Nähe, so das Konzept
Woher kommt das Geld?
Der IKVW finanziert das Projekt vor allem über Spenden, wie es für Moscheevereine in der Schweiz üblich ist. Geld aus dem Ausland nimmt der Verein nicht an, wie Murseli schon 2018 klargestellt hat.
Neben dem Sammeln kümmert er sich darum, bei den Mitgliedern – darunter viele Handwerker – vergünstigte Bau-Offerten einzuholen. «Viele kommen und sagen: Wir finanzieren die Fenster, wir übernehmen dies, das», erläutert er das Vorgehen.
Wie viel der Verein sammeln muss, weiss Murseli nicht. Als die Baupläne öffentlich wurden, bezifferte er die Projektkosten auf 4,5 Millionen Franken. Heute sagt er: «Erst wenn das Gebäude steht, können wir sagen, wie viel es gekostet hat.»
Angst, dass die Moschee nicht fertig wird, habe er aber nicht. «Das Geld wird am Schluss beieinander sein.» Murseli vertraut auf Gott und die Vereinsmitglieder. Die seien gerade jetzt, während des Fastenmonats Ramadan, sehr spendabel. «Sie haben uns versprochen, dass sie das Projekt unterstützen.»