Diese Winterthurerin singt Teilzeit für die Popstars

Deborah Merian ist Backgroundsängerin. Keiner kennt sie, Freizeit hat sie kaum und von der Musik leben kann sie auch nicht. Und trotzdem sagt sie, sie lebe ihren Traum.

Aufgewachsen im Kanton Zug, hat Deborah Merian schon mit acht Jahren in Cham die Musicalschule Voicesteps besucht. Dort wurde sie in ihrer Freizeit 15 Jahre lang in Gesang, Tanz und Schauspiel unterrichtet. Ihr damaliger Schulleiter Guido Simmen bezeichnet sie als «eines der grössten Talente» in der Geschichte der Schule, «ausgestattet mit einer einzigartigen Stimme».

Und trotzdem: Eine Solokarriere war für die 31-Jährige nie Thema. Schon früh wusste sie, wie sie ihre Talente nutzen wollte. «Die Fähigkeit, andere zu begleiten, ist mir mitgegeben worden», sagt sie. Als Kind habe sie sich auf Musikkassetten jeweils die zweite Stimme herausgehört und mitgesungen. Selbst Lieder zu komponieren, sei dagegen nie ihr Ding gewesen. Ein-, zweimal habe sie es versucht. Zu hören sind diese Songs aber nirgends. 

Fast die Karriere verpasst

Heute wohnt Merian in Neuhegi und begleitet Schweizer Musikgrössen wie Marc Sway, Bligg oder Tanja Dankner bei ihren Liveauftritten. 

Bis 2019 hat sie am Winterthurer Institut für aktuelle Musik (Wiam) Gesang studiert. Dann wollte sie durchstarten und möglichst viel singen – an Hochzeiten, Geburtstagsfeiern und Stadtfesten, aber am liebsten als Backgroundsängerin der Popstars. 

Die Pandemie durchkreuzte ihre Pläne: Kulturelle Veranstaltungen und Konzerte waren drei Jahre lang gestrichen. Also begann sie, 80 Prozent im Büro zu arbeiten, und legte ihre Gesangskarriere erst mal auf Eis. 

Coversong: Die Winterthurerin Deborah Merian singt das Lied «Control» von Zoe Wees. Quelle: Youtube.com/Deborah Merian

Im April 2022, der Bund hatte soeben die Corona-Massnahmen beendet, verpasste sie den wahrscheinlich wichtigsten Anruf ihrer noch nicht vorhandenen Karriere. Sie gönnte sich an einem Geschäftsapéro gerade ein Glas Rotwein. Lust, «irgendeinen Fremden» zurückzurufen und sich mit ihm zu unterhalten, hatte sie in diesem Moment nicht.

Da schickte der Fremde eine Sprachnachricht, Merian erkannte seine Stimme auf Anhieb: Es war der Schweizer Soulsänger Marc Sway. Er wollte sie als Backgroundsängerin für Blay, sein Projekt mit dem Rapper Bligg. So fing alles an.

Auftritte vor 28’000 Leuten

Für die Winterthurerin war auf Anhieb klar, dass dieses Projekt vor allem anderen kommt. Sie sagte Sway zu und die wenigen Gesangsstunden ab, die sie damals gab. In fünf Tagen übte sie drei Songs ein, wurde bei Sway zu Hause vorstellig, sang vor und bekam die Stelle.

Seither steht sie an der Seite der Popstars auf den grossen Bühnen der Deutschschweiz – im Kammgarn in Schaffhausen, im Hallenstadion oder vor 28’000 Leuten am Festival Touch the Mountains in Interlaken.

Mit Bligg hat sich Merian darauf geeinigt, dass es «uncool» ist, «wenn die Backgroundsängerin ständig an ihrem Mikrofonständerli klebt». Sie steht nicht hinter dem Popstar, sondern neben ihm. Lässig lässt sie die Hüften kreisen, klatscht in die Hände und animiert das Publikum. Und immer wieder schliesst sie beim Singen die Augen und verzerrt das Gesicht. 

Das seien die Glückshormone, von denen sie geflutet werde, sagt Merian. «Während der Gigs wird mir immer wieder bewusst, was ich hier gerade erleben darf. Dann kann ich nicht anders und muss das Publikum an meinem Glück teilhaben lassen.»

Zwei Wochen Ferien pro Jahr

Neben ihrer Gesangskarriere arbeitet Merian nach wie vor 60 Prozent im Büro, als Officemanagerin. Ihre Chefin habe sofort zugesagt, als sie um mehr Zeit für ihre Musikkarriere gebeten habe. Von Montag bis Donnerstag plant die 31-Jährige Events, beschafft Material für die Mitarbeitenden und kümmert sich um deren Wohlergehen. Sechs Stunden und elf Minuten pro Tag. Am Freitag hat sie frei. «Weil da oft Gigs sind.»

Unter der Woche kommt Merian am Abend oft von der Arbeit nach Hause und ist froh, wenn sie nicht mehr reden muss. Dann hört sie Podcasts zur Entspannung. An den Wochenenden ist sie meist mit ihrem Auto unterwegs. Im Gepäck: ihr Mikrofon und je nachdem ein Handköfferchen mit Kleidern. Wenn sie auftritt, enden ihre Arbeitstage auch mal nach Mitternacht. Irgendwann habe sie sich vorgenommen, nicht mehr mitten in der Nacht nach Hause zu fahren. Das sei zu gefährlich.

Im letzten Jahr gönnte sie sich zwei Wochen Ferien. Die restlichen Ferientage nutzte Merian für Auftritte. Noch mehr Singen gehe nicht, sagt sie. «Ich bin am Limit.» Aber sie ist überzeugt: 2023 wird ein musikalisch intensives Jahr. «Wenn ich mich finanziell sicher fühle, werde ich den Job aufgeben und alles auf die Musik setzen.»

Vom Ersparten leben

Wie viel sie als Backgroundsängerin von Sway oder Bligg verdient, verrät die Winterthurerin nicht. «In der Musikszene redet man nicht übers Geld», sagt sie. Klar ist: Geld gibt es nur, wenn sie auftritt. Weil sie keine eigenen Songs veröffentlicht, fallen Einkommensquellen wie Spotify-Klicks, CD-Verkäufe oder Fanartikel weg. In den Wintermonaten, wenn die Auftritte rar sind, lebt sie von ihrem «Nebenjob» und von dem, was sie in den konzertreichen Sommermonaten verdient hat.

Wenn sie mit ihrer Coverband Random an Firmenfesten oder Privatanlässen spielt, verdient Merian 500 Franken pro Abend. Sie ist Leadsängerin und seit der Gründung im Jahr 2015 dabei. Im letzten Jahr hat die Winterthurerin allerdings die meisten von 30 gebuchten Auftritten ihren Ersatzsängerinnen überlassen. Das Engagement als Backgroundsängerin war ihr wichtiger. 

Sängerin «mit einer einzigartigen Stimme»: Deborah Merian steht mit den Popgrössen der Schweiz auf der Bühne. Foto: Jessica Klostermeier.

Fragt sich, wie sich die Sängerin derart mit einem Job identifizieren kann, von dem sie nicht leben kann, der ihr aber dennoch die Freizeit raubt. Wird sie wenigstens von Fans auf der Strasse erkannt?

Merian lacht und sagt: «Ich kann immer noch unerkannt durch Winti spazieren.» Etwas bekannter sei sie aber schon geworden. Sie hat mittlerweile 2200 Instagram-Follower. Bligg und Marc Sway, die ihr Profil fleissig verlinken, sind bei 51’000 und 15’000. Der kanadische Popstar Justin Bieber hat 279 Millionen.

Am Abschlusskonzert von Blay im letzten Dezember hätten sie ein paar aus dem Publikum sogar um ein Foto gebeten. Keine Teenies, «Fans ab 30 aufwärts». Das habe sie schon komisch gefunden und sich im ersten Moment gefragt, «wieso?». Unterdessen findet sie es «mega herzig».

Dabei und doch nicht ganz

An diesem Abend, an dem Merian im Gang des Winterthurer Instituts für aktuelle Musik (Wiam) von ihrem Traum erzählt, gibt es kein Foto von ihr. Sie ist direkt nach der Arbeit gekommen, trägt einen grauen Rollkragenpullover, einen schwarzen Rock mit Strümpfen und schwarze Lederstiefel. Die mehr als langen Haare hat sie elegant hochgesteckt.

Trotzdem hat sie schon am Mittag per Whatsapp klargestellt: Sie sehe aus «wie ein ‹usegschisses Gaggi›». Dass sie einen solchen Spruch in der Zeitung lesen wird, stört Merian nicht. Sich zu verstellen, liege ihr nicht. «Ich bin schon immer am besten gefahren, wenn ich authentisch war», sagt sie. Als Backgroundsängerin kann sie es sich leisten, nicht ganz so geschliffen zu sprechen wie manche Stars. 

Vielleicht ist es genau das, was sie an ihrem Job so reizt: Sie schnuppert am Musikbusiness, ohne sich ihm voll und ganz aussetzen zu müssen. Oder, wie sie es in Bezug auf ihre Auftritte ausdrückt: «Ich bin Teil des Ganzen, und trotzdem lastet nicht der ganz grosse Druck auf mir.» 

Publiziert in: Landbote, 13.3.2023

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