Auf einem Geh- und Veloweg in Oberwinterthur fuhr ein Velofahrer in einen Fussgänger. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn wegen fahrlässiger Körperverletzung an. Das Gericht sah alles anders.

Eine Hirnerschütterung, eine geplatzte Lippe, ausgeschlagene Zähne und Prellungen – das sind die Folgen eines Zusammenpralls zwischen einem Velofahrer und einem Fussgänger in Oberwinterthur.
Der Unfall hatte sich im letzten Herbst auf dem Geh- und Veloweg entlang der Stadlerstrasse ereignet. Die Lücke in der oberen Zahnreihe des geschädigten Fussgängers war auch knapp ein Jahr später an der Verhandlung im Bezirksgericht Winterthur noch gut zu sehen.
Dort sah sich der beschuldigte Velofahrer kürzlich mit dem Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung konfrontiert.
Smart auf dem Veloweg
Was sich an jenem regnerischen Herbstabend genau zugetragen hat, ist unklar. Er wisse nicht, wie schnell er genau gefahren sei, gab der Velofahrer vor Gericht zu Protokoll. «Wie fast jeden Tag» sei er auf dem Veloweg von Oberwinterthur in Richtung Seuzach unterwegs gewesen.
Dieser verläuft zusammen mit dem Gehweg rechts entlang der Stadlerstrasse. Gelbe Streifen und Velo-Piktogramme auf dem Asphalt sowie blaue Schilder signalisieren: Fussgänger gehen rechts, Velos fahren links.

Nur: Links auf dem Veloweg stand wenige Meter von der Unfallstelle entfernt ein Smart. Deshalb musste der Beschuldigte auf die Gehwegseite ausweichen. Dort kollidierte er laut Staatsanwaltschaft mit dem Geschädigten, der gerade aus einem Haus an der Stadlerstrasse kam und den Gehweg betrat.
Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Der Velofahrer habe weder seine Geschwindigkeit den Umständen angepasst, noch sei er von seinem Gefährt gestiegen, wie er es auf der Gehseite eigentlich hätte tun müssen. Darum habe es geknallt.
Ins Velo hineingelaufen
Das Tragikomische an der Geschichte: Der Smart gehörte dem geschädigten Fussgänger. Er hatte ihn unerlaubterweise auf dem Veloweg parkiert, um wenige Meter von seinem Auto entfernt an der Stadlerstrasse Essen auszuliefern. Nach getaner Arbeit wollte er so schnell wie möglich zum Smart zurück, wie er der Polizei laut Verteidigung direkt nach dem Unfall sagte.
Dementsprechend beschreibt der beschuldigte Velofahrer das Ausweichmanöver etwas anders: «Ich habe die Geschwindigkeit reduziert, bin ausgewichen und sofort wieder zurück auf den Veloweg.» Plötzlich sei der Geschädigte hinter einer Ecke hervorgekommen und ihm ins Velo hineingelaufen.
«Auf dem Veloweg», betonte sein Verteidiger wiederholt, «auf dem Veloweg.» Sein Mandant sei nur ein kleines Stück auf dem Gehweg gefahren. Und an die Adresse der Staatsanwaltschaft sagte er: Von einem Velofahrer zu verlangen, das Velo wegen zweier Meter zu schieben, sei eine «typische Schreibtischsicht».
Ausserdem sei der Fussgänger mit seinem Handy beschäftigt gewesen. Das habe der Kläger selbst bei der Polizei zu Protokoll gegeben. «Der Beschuldigte musste nicht damit rechnen, dass jemand unvermittelt hinter der Hecke hervorkommt und über den Fussweg direkt auf den Radweg tritt.»
Das Fazit des Verteidigers: Die Sorgfaltspflicht sei eingehalten worden, sein Mandant freizusprechen. Die Schadensersatzforderungen von mehreren Tausend Franken seien abzuweisen.
Für das Gericht zählte allein der Vortritt
Die Anwälte diskutierten darüber, wo die Füsse des Umgefahrenen zu liegen gekommen sind, wo das Blut genau auf dem Asphalt gewesen ist und inwiefern man daraus bestimmen konnte, ob der Unfall sich auf der Geh- oder der Veloseite ereignet hatte.
Letzteres lasse sich nicht bestimmen, sagte das Gericht bei der Urteilsverkündung. Ein verkehrstechnisches Gutachten und damit Beweise für die eine oder die andere Schilderung lägen nicht vor.
Um den Fall rechtlich zu beurteilen, seien die ganzen Diskussionen auch nicht nötig, sagte der Richter. «Es gilt der Grundsatz: Jemand, der aus einer Ausfahrt oder einem Hauseingang kommt, hat keinen Vortritt.» Ob er dabei einen Geh- oder einen Veloweg betrete, spiele keine Rolle. Er müsse sich vorher vergewissern, wer oder was ihm dort möglicherweise entgegenkomme.
Das Gericht hat den angeklagten Velofahrer deshalb freigesprochen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.