Nicht Zecken sind das Problem, sondern Mäuse und der Mensch

Für den stellvertretenden Kantonsarzt Jörg Allmendinger sind durch Zecken übertragene Krankheiten Teil eines grösseren Problems. Der individuelle Schutz vor den Biestern sei wichtig, sagt er. Wichtiger sei aber der Erhalt der Artenvielfalt.

Wenn der stellvertretende Glarner Kantonsarzt Jörg Allmendinger sagt, Zecken seien kein grosses Problem, geht es ihm nicht darum, jährlich schweizweit rund 10 000 Fälle von akuter Borreliose herunterzuspielen. Und zu Waldspaziergängen in Shorts und T-Shirt ruft er auch nicht auf.

Allmendinger geht es um die Gesundheit – und die betrachtet er mit Blick auf die Umwelt. «One Health» nennt sich dieser Ansatz. Er sieht die Übertragung von Krankheiten durch die knapp fünf Millimeter grosse Zecke als Teil des grossen Ganzen: als Teil des Verlusts von Biodiversität.

Mäuse als Hauptübertragende

«Das Problem sind nicht die Zecken an sich, es sind die Mäuse», sagt Jörg Allmendinger. Die Nager gelten unter Biologinnen als Hauptwirt von Borrelien und FSME-Viren. Das heisst: Von allen Warmblütern, in denen sich Zecken verbeissen, tragen bestimmte Mäusearten die Krankheitserreger besonders häufig in sich.

Mäuse gelten als Hauptwirte für Zecken. Damit verbreiten sie auch Krankheiten wie die gefährliche Borreliose. Symbolfoto: Pixabay

«Vermehren sich die Mäuse, steigt die Chance, dass die Zecke bei ihrem Wirt auf Krankheitserreger trifft», sagt der Glarner Arzt. Vermehren sich die anderen Tiere, trifft die Zecke eher auf gesunde Opfer und das Übertragungsrisiko für den Menschen sinkt. Wissenschaftler sprechen vom «Verdünnungseffekt».

Ein gesellschaftliches Problem

Die Bekämpfung der durch Zecken übertragenen Krankheiten wird für Jörg Allmendinger damit zum gesellschaftlichen Thema. Er sagt: «Wir sind alle für die Biodiversität, den Erhalt der Arten und der Lebensräume, verantwortlich.»

Das Problem sei, dass gewisse Mäusearten einen Überlebensvorteil gegenüber anderen Tierarten hätten. Sie sind weniger von der Abnahme der Biodiversität betroffen und vermehren sich erfolgreicher.

Ausserdem begünstigen der Klimawandel und die immer milderen Winter die Vermehrung der Zecken und der Mäuse gleichermassen, wie Allmendinger betont.

Erweiterter Blick auf Krankheiten

Der stellvertretende Kantonsarzt stützt sich bei seinen Aussagen vor allem auf eine Studie aus den USA, die 2010 im internationalen Jahr für Biodiversität erschienen ist. Schweizer Studien kenne er keine, und ein Biologe sei er auch nicht, räumt er ein. Im Verdacht hierzulande stehen Feldmäuse, Gelbhalsmäuse und Rötelmäuse.

Aber Allmendinger ist delegierter Kantonsarzt beim Unterorgan One Health des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Gestützt auf das Epidemiengesetz, unterstützt das Organ die Bundesämter und bekämpft gesundheitliche Risiken, die mehr als einem Bundesamt zugeordnet werden.

Zu diesen Risiken gehören auch Zoonosen – Krankheitserreger, die vom Tier auf den Menschen und umgekehrt übertragen werden. Erreger wie das Borreliose-Bakterium. Oder das Coronavirus.

Für Corona sei das Unterorgan One Health nicht zuständig, sagt Jörg Allmendinger. «Aber im Idealfall sollen wir Pandemien verhindern.» Die würden zwar zum Leben gehören wie ein Schnupfen – «aber vielleicht sollten sie nicht alle drei Jahre auftreten».

Darmbakterien sind dringlicher

Durch Zecken übertragene Krankheiten seien aktuell nicht das wichtigste One-Health-Thema, erklärt der stellvertretende Kantonsarzt. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht Campylobacter, ein Darmbakterium.

Campylobacter besiedelt den Darmtrakt von gesunden Schweinen und von Geflügel; ob der Erreger auch Tiere krank macht, ist in der Veterinärmedizin umstritten. Aber beim Menschen löst er Durchfall aus. Wird unsauber und unsorgfältig gearbeitet, gelangen die Bakterien vom Schlachthof über die Küche auf den Esstisch.

«Mit bis zu 8500 akuten Fällen und einer riesigen Dunkelziffer ist die Darminfektion die häufigste Zoonose in der Schweiz», sagt Jörg Allmendinger. Campylobacter verursache grossen volkswirtschaftlichen Schaden, weil jeder und jede mit Durchfall zu Hause bleibe. Für Kleinkinder und ältere Menschen könne eine Durchfallerkrankung tödlich sein.

Zeckenschutz ist möglich

Wenn die Borreliose häufiger auftritt, müsste sich das Unterorgan One Health vermehrt mit dem Zecken-Thema beschäftigen, sagt Jörg Allmendinger. Oder falls der Borreliose-Erreger Antibiotika-Resistenzen entwickle. Im Moment aber könne man sich gut gegen Zecken schützen; die Borreliose-Häufigkeit sei relativ gering.

Der stellvertretende Kantonsarzt führt die Zahlen auf die Informationsarbeit der Ärzteschaft zurück. Am meisten Borreliose-Fälle zählte das BAG 2020. 15 500 Behandlungen waren es laut Hochrechnung. Experten machen vor allem das Freizeitverhalten im ersten Pandemiejahr für den Höchstwert verantwortlich.

Allmendinger empfiehlt deshalb, die gängigen Massnahmen zum Schutz vor den Blutsaugern zu beachten (siehe Box). Ob eine FSME-Impfung sinnvoll ist, gilt es mit dem Hausarzt zu besprechen. Bei Rötungen im Bereich der Einstichstelle solle man auf jeden Fall zum Arzt gehen. Die Entzündung deute auf Borreliose-Bakterien und müsse möglichst schnell mit Antibiotika behandelt werden.

Publiziert in: Südostschweiz, Glarner Nachrichten, 20.5.22

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