«Rassistische und sexistische Texte haben an einem Event nichts zu suchen»

Die Winterthurer Rapgruppe Magnetband organisiert im Kraftfeld und im Gaswerk das 808-Hip-Hop-Festival. Die Rapper Lembas und Dusel sprechen darüber, warum sie Sexismus keine Bühne bieten und warum Winterthur mehr Hip-Hop braucht.  

Wünschen sich mehr Hip-Hop in Winterthur: Die Rapper Dusel (l.) und Lembas. Foto: Madeleine Schoder

Lembas und Dusel, Sie organisieren in Winterthur das 808-Hip-Hop-Festival und treten gleich selbst auf. Rappen Sie so schlecht, dass Sie für sich Shows organisieren müssen?

Lembas: Wir wollten es uns tatsächlich nicht nehmen lassen, auf einer Bühne vor bis zu 700 Personen zu spielen. Ausserdem gibt es für uns als Organisatoren einen Vorteil – wir spielen gratis.

Dusel: Der ausschlaggebende Punkt war aber ein anderer. Wir hatten die Idee für das Festival letztes Jahr an unserer Plattentaufe, an einem Samstag im Gaswerk. Die Winterthurer Allesbollet und Krysl spielten einen Tag vorher im Salzhaus. Ein Wochenende voller Hip-Hop in Winti, das fanden wir geil.

Ist das aussergewöhnlich? Winterthur gilt als Kulturstadt mit breitem Musikangebot. 

Lembas: Winterthur hat eine grosse Musikszene, aber Hip-Hop-Shows finden weniger statt. Das hat uns motiviert, selbst etwas auf die Beine zu stellen. 

Wer finanziert das 808-Hip-Hop-Festival?

Lembas: Das haben wir verdammt schlau gelöst.

Dusel: Ich arbeite im Kraftfeld und im Gaswerk als Tontechniker. Wir haben den Verantwortlichen der beiden Clubs einfach gesagt, wir wollen Winterthurs grösstes Hip-Hop-Event organisieren, hätten aber keine Kohle. Wir haben ihnen vorgeschlagen, dass sie den Gewinn einstecken können, allfälliger Verlust dagegen ihr Problem sei. Das fanden sie eine gute Idee.

Die beiden Clubs werden von der Stadt subventioniert. Sie kritisieren als Rapgruppe das System, lassen sich dann aber ein Festival mitfinanzieren?

Lembas: Sich an einem System zu beteiligen, bedeutet nicht, dass man es nicht kritisieren kann und muss. Kultursubventionen sind etwas vom wenigen, was in unserer Gesellschaft richtig läuft. Wir brauchen mehr davon.

Dann meinen Sie Textpassagen wie «Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat» nicht ganz so ernst?

Dusel: Wir sind definitiv links und kritisch, aber unsere Texte spitzen zu, wie es im Rap üblich ist. Damit drücken wir unsere Unzufriedenheit mit dem System aus. Rap ist das Ventil.

Lembas: Die Strophe «Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat» reimt sich sehr schön, deshalb habe ich sie für den Refrain verwendet. Es handelt sich um eine alte linke Parole.

Womit sind Sie unzufrieden?

Lembas: Zum Beispiel mit der Klimapolitik. Es wird zu wenig unternommen, um den Klimawandel zu stoppen. Und das, obwohl wir schon ewig wissen, dass er ein Riesenproblem ist. Es geht hier ums nackte Überleben unserer Spezies, aber das System schaut zuerst auf den wirtschaftlichen Erfolg und dann auf die Menschen.

Mit Allesbollet, Figgdisam und Nick und der Magnetband sind drei Winterthurer Gruppen am 808-Festival dabei. 

Lembas: Für uns war von Anfang an klar, dass wir das Festival aus Liebe zur Musik und zur Stadt organisieren. Ich bin hier aufgewachsen und zu Hause, das ist meine Gegend. Deshalb wollten wir auch etwas zum ausgezeichneten Musikangebot in Winterthur beisteuern.

Dusel: Winterthur hat eine ziemlich coole Hip-Hop-Szene, die eher unbekannt ist. Es gibt hier viele gute Rapper und Rapperinnen, die zu wenig Gehör finden. Alle unterstützen und respektieren sich gegenseitig, was nicht selbstverständlich ist.

Könnte sich der Winterthurer Rapper Smack fürs nächste Festival ins Gespräch bringen? Im Lied «Vanillecreme» träumt er davon, den weiblichen «Cremeschnitten» an seinen Konzerten die Füllung spenden zu können.

Dusel: Auf keinen Fall. Wir haben sehr auf die Texte der eingeladenen Gruppen geschaut.

Lembas: Zu einem gelungenen Event gehört für uns, dass du dich wohlfühlst. Das heisst auch, dass auf der Bühne keine Kunstschaffenden stehen, die rassistisches, sexistisches oder homophobes Zeugs von sich geben. Wer so texten will, darf das tun, aber am 808-Festival wollen wir diese Texte nicht.

Der Musikmarkt zeigt, dass Rapper, die sich einer ähnlichen Sprache bedienen, oft erfolgreicher sind und eher von der Musik leben können. Wollen Sie auf Ihren knapp 40 monatlichen Spotify-Hörern sitzen bleiben?

Lembas. Wenn es uns ums Geld ginge, wären wir zur UBS gegangen und hätten nicht mit Rap angefangen. Wir machen Musik nicht wegen des Markts oder des Erfolgs, sondern weil wir es lieben. Ich performe auch an einem Kindergeburtstag, wenn das gewünscht wird. 

Dusel: Ich bezweifle, dass jemand von schweizerdeutschem Rap leben kann. Darauf zu hoffen, wäre naiv. Ausserdem können wir uns mit solchen Texten null identifizieren. 

Die Winterthurer Hip-Hop-Gruppe Magnetband
Kyon (links) ergänzt ab sofort die Rapper Dusel (Mitte) und Lembas. Foto: Madeleine Schoder

Lassen sich mit Ihren Kriterien überhaupt Rapgruppen für eine zweite Ausgabe des Festivals finden?

Dusel: Mir fallen schweizweit locker fünf bis sechs ein, die ich buchen würde. Allein in Winterthur gibt es weitere interessante Künstler wie Marv oder Krysl. Wenn das Festival gut ankommt, steht einem zweiten nichts im Weg.

Den grossen Saal im Gaswerk füllen sie aber nur mit national bekannten Acts wie Nativ, der am Samstag auftritt. Wie sind sie an den Berner Rapper rangekommen?

Lembas: Wir haben ihn dem «Gasi» vorgeschlagen, und die haben das Booking übernommen. Eigentlich wollten wir mit KT-Gorique eine französisch rappende Frau als Headliner, sie konnte aber nicht. Nativ mit seinem Einsatz für People of Color (Personen dunkler Hautfarbe, Anm. der Redaktion) respektieren wir sehr.

Dusel: Den Rest haben wir mit einer Instagram-Nachricht, einem Handschlag und ein paar netten Worten ins Boot geholt.

Selbst werden Sie am 808-Festival zum ersten Mal mit einem dritten Rapper und einer Liveband auftreten. 

Dusel: Das ist richtig. Auf die Idee mit der Liveband sind wir gekommen, weil uns Hip-Hop-Gigs oft zu wenig Druck haben und fast schon etwas langweilig sind. Das wollen wir mit Schlagzeug, Gitarre und Saxofon ändern. 

Lembas: Und Rapper Kyon war eigentlich schon seit unseren Anfängen vor vier Jahren ein Teil von uns. Jetzt hat er endlich Zeit, mit uns zu proben. 

Mögen keine Pizza Hawaii: In ihrem neuen Video vergleicht die Magnetband Rap mit einer Pizza – andere Rapper mit einer Ananas. Quelle: Youtube / Magnetband

Publiziert in: Der Landbote, 8.11.22

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